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Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik
Firmenname | Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik |
Ortssitz | Mannheim |
Ortsteil | Neckarau |
Straße | Eisenbahnstr. 4 - 8 |
Postleitzahl | 68199 |
Art des Unternehmens | Gummi- und Celluloidfabrik |
Anmerkungen | Bis 1885: "Rheinische (Hart)gummi-Waaren-Fabrik" (s.d.). Siehe auch: Werk Rheinau! 1892: Direktoren: Friedr. Bensinger u. Ad. Bensinger; Adresse: M 2, 16; Produkte: Technische u. Hartgummiwaren. Ab 1965: "Schildkröt AG, vormals Rheinische Gummi- und Celloloid-Fabrik" (s.d.). |
Quellenangaben | [Braas: Kunststoff, gestern-heute-morgen (1973)] [Zum 25j. Jubiläum der Rh G & C F (1898) mit Abb.] [Adressbuch Elektr.-Branche (1892) 168] [Fillafer: Die Schildkröt (1995)] |
Hinweise | Kessel- und Maschinenhaus seit ca. 1998 an Prof. Dr. Dr. Mühling (s.d.), Heidelberg und von ihm renoviert. [100 Jahre chemische Industrie im Rhein-Neckar-Dreieck (1999) 72]: Werksansicht um 1900 |
Zeit |
Ereignis |
1885 |
Weitere Ereignisse vor 1885 s. "Rheinische Hartgummi-Waaren-Fabrik" (ID= 1765) |
1885 |
Wiederaufbau der Werksanlagen nach dem Brande vom 27. März: Er nimmt nahezu ein ganzes Jahr in Anspruch. Die ganze Fabrik wird neu und zweckmäßiger wieder aufgebaut. Dazu wird ein Güterkomplex angekauft, und die einzelnen Betriebe werden derart auseinandergezogen, so daß jeder Bau, meistens einstöckig, von den Nachbarbauten durch Höfe und Gehwege, zum mindesten durch erhebliche Brandgiebel abgetrennt werden. Die einstöckigen Gebäude bestehen aus massiven Umfassungsmauern mit leichtem Dachwerk. - Diese Bauweise bewährt sich und wird bei künftigen Bauten weiterhin angewendet. |
Sept. 1885 |
Firmenänderung aus "Rheinische Hartgummi-Waaren-Fabrik" |
1886 |
Beginn der Herstellung von Schirm- und Stockgriffen |
nach 1885 |
Man erkennt die unterschiedlichen Nitrierstufen und kann massenhaft reines Celluloid herstellen. |
Frühj. 1886 |
Nach äußerst schwierigen Verhandlungen mit den Feuerversicherungsgesellschaften wird wegen des Brandes vom März 1885 ein Vergleich abgeschlossen, infolge dessen das Unternehmen einen starken Verlust erleidet. Die Rentabilität wird dadurch über Jahre hinweg stark herabgemindert. |
ab 1886 |
Die Fabrik wird seitdem ununterbrochen erweitert und ergänzt. |
1886 |
Bau einer nicht unbedeutenden Konstruktions- und Reparaturwerkstätte mit Eisen- und Kupferschmiede, Schlosserei, Klempnerei, Schreinerei, Gießerei usw. Seitdem baut die Fabrik den größten Teil ihrer Spezialmaschinen selbst oder läßt größere Maschinen nach eigenen Entwürfen auswärts arbeiten. |
1887 |
Durch französische Geschäftspartner angeregt, werden ab 1887 Spielbälle aus Celluloid gefertigt. |
Frühj. 1888 |
Mit der Errichtung einer vollständig selbständigen Fabrik mit eigenem Kesselhaus und Dampfmaschinenenanlage wird die Fabrikation des Celluloids auch räumlich von der alten Anlage für Hartgummi und Celluloidwaren gelöst. |
1888 |
Plötzlicher Tod des Ingenieurs und Maschinenmeisters Julius Ries |
Okt. 1888 |
Adolf Bensinger, der älteste Sohn des Begründers, tritt in die Direktion ein. - Er war bereits eine Reihe von Jahren im Unternehmen tätig. |
09.10.1889 |
Anmeldung des Markenzeichens "Schildkröt" für Celluloidwaren. (Eintragung 1899) |
Sommer 1891 |
Tod des Firmengründers Friedrich Julius Bensinger im Alter von 50 Jahren |
04.1893 |
Carl Bensinger, der zweite Sohn des Begründers, tritt in den Vorstand der Gesellschaft ein |
15.10.1893 |
Großherzog Friedrich von Baden besucht das Werk. Er spricht seine allerhöchste Anerkennung aus. |
1894 |
Das Warenzeichen "Schildkröt" wird beim Kaiserlichen Patentamt in die Warenzeichenrolle eingetragen. (vergl. 1899) |
1895 |
Robert Zeller, der "Vater" der Celluloid-Puppe, schafft es, mit Hilfe eines neuen Blasverfahrens ("Preßblasverfahren"), Puppenköpfe und -körper billig herzustellen. |
1896 |
Die erste Puppe der Marke "Schildkröt" geht über den Ladentisch |
1898 |
Größe des Werksgeländes: 80.000 m2 |
1898 |
An Sozialeinrichtungen existiert 1898: 1 Betriebskrankenkasse, 2 Kantinen, 1 Kohlenkasse |
08.03.1899 |
Eintrag des Warenzeichens "Schildkröte" beim Kaiserlichen Patentamt. Der Siegeszug der Mannheimer Puppen mit der "Schildkröte" als Schutzmarke beginnt. |
1900-1960 |
Mannheim ist von ca. 1900 bis 1960 marktbestimmender Puppen-Produktionsstandort in Europa. |
1900 |
Die Firma ist bis 1900 ein Großunternehmen mit etwa 150 Gebäuden, in denen 65 Walzwerke und Kalander, 105 Pressen sowie 170 Kammschneidemaschinen betrieben werden. |
1900 |
Bis zur Jahrhundertwende steigert das Mannheimer Unternehmen seine jährliche Rohcelluloidproduktion auf etwa 4.500 t. Das entspricht einem Drittel der Weltproduktion. |
1903 |
Erfindung des Preß-Kammes aus Celloloid. Er ist ein Meilenstein technischer Rationalisierung. Bei jedem Preßvorgang entstehen im Zwei-Minuten-Takt 12 Kämme, die ohne wesentliche Nacharbeit "in einem Guß" hergestellt werden. Es sind 20 Pressen eingesetzt. Der Preßkamm wird zum ersten Massenprodukt. |
1910 |
Im Schwetzinger Werk der Rheinischen Gummi- und Celluloidfabrik wird die Puppenproduktion eingestellt und stattdessen bis zum Ersten Weltkrieg "Perlseide" gefertigt. |
1910 |
Im Schwetzinger Werk wird die Puppenproduktion eingestellt und stattdessen bis zum Ersten Weltkrieg "Perlseide" gefertigt. |
01.01.1915 bis 11.11.1918 |
Zwangsweise Stillegung der Gummifabrik bis Kriegsende |
1929 |
Verkauf der Aktien an die I.G.-Farben-Gruppe |
1929 |
Die Rheinische wird ein billiges Objekt der gefräßigen IG Farben-Gruppe. |
1929 |
Den Höhepunkt der Celluloidherstellung bildet das Jahr 1929 mit etwa 40.000 t Jahresproduktion. |
1929 |
Der Leiter der Abteilung Statistik bezichtigt in einer Vorstandssitzung den Betriebsleiter des Rheinauer Werks, jahrelang die Abrechnungen über Produktionsmengen und Betriebskosten gefälscht zu haben. Die versammelten Herren beschließen, ohne Voranmeldung ins Werk Rheinau zu fahren, um den Vorwurf zu überprüfen. Carl Bensinger, Paul Jander und die anderen Vorstandsmitglieder erscheinen im Rheinauer Betriebsbüro, und einer Betriebsprüfung wird den Verantwortlichen klar, welch ungeheurem Schwindel sie jahrelang aufgesessen sind. Mehr als 4 Millionen Mark sind verloren, und das Eigenkapital ist aufgezehrt. |
Frühjahr 1930 |
Der Nitrierbetrieb im Werk Rheinau wird nach 49 Jahren stillgelegt, obwohl er (im Gegensatz zur im Vorjahr eingestellten Kampfer-Produktion) wirtschaftlich arbeitet. Ein Teil der Beschäftigten wird vom Stammwerk übernommen. Die für die Herstellung von Celluloid erforderliche Nitrocellulose liefert nun das WASAG-Werk in Reinsdorf. |
1931-1932 |
Massenentlassungen |
1932-1936 |
Beginn der Entwicklung und Anwendung von Kunststofferzeugnissen auf der Basis von Misch-Polymerisaten in Zusammenarbeit mit I.G.-Farben |
1933-1939 |
Starker Ausbau der Fertigwaren-Betriebe |
1933 |
Der Umsatz beträgt 6 Mio RM |
1939 |
Bahnbrechende technologische Erfolge bei der Igelit-Verarbeitung, PVC |
1939 |
Der Umsatz beträgt 16,5 Mio RM. |
1939 |
Die Fertigung von Celluloidspielwaren ist ein Verlustgeschäft. so verliert die "Rheinische" mit jedem Kilo Spielwaren 3,52 RM. |
30.12.1943 |
Bei einem Luftangriff verlieren 21 Mitarbeiter ihr Leben, über 50 werden verletzt |
1945 |
Die Schildkröt-Puppen landen bei der Wasag AG. |
01.04.1945 |
Das Werk gerät unter Artilleriebeschuß, die Belegschaft wird beurlaubt |
01.05.1945 |
Trümmerbeseitigung, 450 Mitarbeiter finden sich wieder ein |
1951 |
Das Produktionsvolumen entspricht dem Vorkriegsstand |
1953 |
Die Wasag-Chemie, Essen wird alleinige Aktionärin |
1954 |
Käthe Kruse entschließt sich, mit der "Rheinischen Gummi- und Celluloidfabrik" zusammenzuarbeiten. Man entwickelt eine erschwingliche Puppe aus Celluloid bzw. aus Tortulon, der in Gegensatz zu Celluloid nicht brennbar ist. |
1955 |
Herstellung von Hart-PVC-Platten "Rhenadur" für technische Gebrauchsartikel |
Mitte 1950er |
Verkauf des bisher verpachteten Rheinauer Betriebsgeländes. Mit dem Erlös wird der Aufbau neuer Kunststoffabriken in Neckarau und Hemsbach finanziert. |
1956 |
Ãœbernahme der Produktion von Weich-PVC-Folien |
1958 |
Ãœbernahme des "Oppanol"-Folienprogramms |
1958 |
Ãœbernahme der Chemisch-Technischen Fabrik Hemsbach, die bereits seit 1953 Polyisobutylen zu Dachbahnen verarbeitet |
1965 |
Gründung der nordamerikanischen Vertriebsgesellschaft |
1965 |
Umwandlung des Firmennamens in "Schildkröt AG, vormals Rheinische Gummi- und Celloloid-Fabrik" |
1975 |
Die Puppenproduktion wird in Mannheim eingestellt. |
Produkt |
ab |
Bem. |
bis |
Bem. |
Kommentar |
Celloloid |
1885 |
Brand und Umfirmierung |
1965 |
Letzte Erwähnung |
1885: Brand und Umfirmierung; 1965: Umfirmierung |
Celluloid |
1949 |
Erste Erwähnung |
1949 |
Letzte Erwähnung |
1949: bekannt |
Gummi |
1949 |
Erste Erwähnung |
1949 |
Letzte Erwähnung |
1949: bekannt |
Gummiwaren |
1885 |
Brand und Umfirmierung |
1892 |
[Adressb Elektr.-Branche (1892)] |
1885: Brand und Umfirmierung |
Hart-PVC-Platten "Rhenadur" |
1955 |
Erste Erwähnung |
1955 |
Letzte Erwähnung |
1955: Beginn der Herstellung |
Igelit, PVC |
1939 |
Erste Erwähnung |
1939 |
Letzte Erwähnung |
1939: Bahnbrechende Erfolge |
Preß-Kämme aus Celloloid |
1903 |
Erste Erwähnung |
1896 |
Letzte Erwähnung |
1903:Beginn; 1896: 171 Maschinen tätig |
Weich-PVC-Folien |
1956 |
Erste Erwähnung |
1965 |
Letzte Erwähnung |
1956: Ãœbernahme; 1965: Umfirmierung |
Zeit |
gesamt |
Arbeiter |
Angest. |
Lehrl. |
Kommentar |
1898 |
980 |
900 |
80 |
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1905 |
3010 |
2804 |
206 |
|
|
1907 |
2206 |
|
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vmtl. Neckarau + Rheinau |
Zeit = 1: Zeitpunkt unbekannt
Zeit |
Bezug |
Abfolge |
andere Firma |
Kommentar |
1885 |
Umbenennung |
zuvor |
Rheinische Hartgummi-Waaren-Fabrik |
Rh. Hartgummi --> Rh. Celluloid [Braas: Kunststoff, gestern-heute-morgen (1973) 4/42] |
1965 |
Umbenennung |
danach |
Schildkröt AG, vorm. Rheinische Gummi- und Celloloid-Fabrik |
Rh. Celloloid --> Schildkröt [Braas: Kunststoff, gestern-heute-morgen (1973) 4/42] |
1 |
Nebenwerk |
danach |
Rheinische Gummi- und Celloloid-Fabrik, Nitrierwerk Rheinau |
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ZEIT | 1898 |
THEMA | Entwicklung des Werks |
TEXT | Im September 1885 wurde der Titel der Firma umgeändert in: "Rheinische Gummi & Celluloid Fabrik" Seit Anfang des Jahres 1886 wird das Etablissement ununterbrochen erweitert und ergänzt. Bald scheinen diese, bald jene Räumlichkeiten unzulänglich oder aber den gestiegenen Anforderungen der Technik nicht mehr entsprechend; bald wurde diese, bald jene Maschine für verbesserungsbedürftig oder gar veraltet erachtet. In vielen Fällen wurden vorhandene, nicht einmal alte Gebäude geschleift und durch neue ersetzt, in anderen Fällen konstruierte die Fabrik Spezialmaschinen auf Grund der in rastlosen Versuchen errungenen Fortschritte. Unter diesen Umständen trat bereits im Jahre 1886 die Notwendigkeit heran, eine nicht unbedeutende Konstruktions- und Reparaturwerkstätte zu errichten mit den naturgemäß zugehörigen Nebenbetrieben, als: Eisen- und Kupferschmiede, Schlosserei, Klempnerei, Schreinerei, Giesserei etc. und seitdem baut die Fabrik den grössten Teil ihrer Spezialmaschinen selbst, oder lässt größere Maschinen nach eigenen Entwürfen auswärts arbeiten. Hierin ist wiederum die Erklärung zu finden, dass unser Etablissement mit eigenen, allgemeinhin unbekannten Verfahren und Maschinen, die weder in der Literatur, noch in in- oder ausländischen beschrieben sind, arbeitet. Im Frühjahr 1888 wurde, zufolge Errichtung einer vollständig selbständigen Fabrik mit eigenem Kesselhaus und Dampfmaschinenanlage, die Fabrikation des Celluloids auch räumlieh von der alten Anlage für Hartgummi und Celluloidwaren gelöst. Im Oktober 1888 trat Herr Adolf Bensinger in die Direktion unserer Gesellschaft ein, nachdem derselbe schon vorher eine Reihe von Jahren hindurch in unserem Betriebe tätig war. Im Sommer 1891 wurde unser Seniorchef Herr F. J. Bensinger durch allzu frühen Tod in seinem 50. Lebensjahre abgerufen. Schwer und unersetzlich ist sein Verlust. Wehmut erfüllt uns, wenn wir seines tatenreichen Wirkens gedenken, wenn wir uns erinnern, durch welche zahlreiche und herbe Schicksalsschläge er unser Werk zu dem geführt hat, was es heute ist. Stark war seine Kraft und Gesundheit, stärker sein Wille und Manneswort. Die Zeiten vergehen; es erfüllen sich die Gesetze der Natur mit unerbittlicher Härte. Mögen diese Zeilen ein ehrendes Andenken des leider allzu früh Entschlafenen bei unseren Lesern hervorrufen, deren grosser Theil ihn persönlich kannte, möge sein Werk durch Jahre und Jahrzehnte hindurch beredter sein, als menschliche Worte! Möge der stolze Titelname der Firma zu seinen Ehren auch fürderhin genannt und bekannt bleiben, in nahen und fernen Landen. An dieser Stelle gedenken wir auch unseres ebenfalls früh dahingeschiedenen Mitbegründers Herrn A. Levy, sowie des im Dienste der Gesellschaft im Jahre 1888 durch jähen Tod dahingerafften Ingenieurs und Maschinenmeisters Herrn Julius Ries. Wir haben die Verdienste des Herrn A. Levy am Eingange dieses hervorgehoben; an ihm verlor die Gesellschaft einen gewandten und in der Hartgummibranche bewanderten, gediegenen Fachmann. Herr Ries, als Ingenieur und Konstrukteur gleich genial veranlagt, fand durch Umkippen eines in Montage befindlichen Maschinenschwungrades ein plötzliches und allseitig betrauertes Ende. Im April 1893 wurde Herr Carl Bensinger zum weiteren Vorstandsmitglied der Gesellschaft ernannt. Am 15. October 1893 geruhte unser Landesfürst Seine K. Hoheit, Grossherzog Friedrich von Baden das Unternehmen mit seinem allerhöchsten Besuch zu beehren. Seine K. Hoheit sprach seine allerhöchste Anerkennung aus. Nur Beharrung führt zum Ziel, lehrt unser Motto. Das Unternehmen kann von sich behaupten, diese Sentenz bewahrheitet zu haben. Selten dürfte ein Unternehmen unter schwierigeren Verhältnissen begründet gewesen sein, selten hat das Schicksal, im Kampfe mit Wissensdrang und Tatkraft, die Bausteine menschlichen Schaffens mit mehr Beharrlichkeit und unerbittlicher Hand zerstückelt und zerstört. Wenn trotzdem durch Beharrung und Energie das Werk zu dem herangedieh, was es heute ist, so gibt uns die kleine Rast, die wir uns am heutigen Tage gönnen, ein doppeltes Anrecht darauf, uns mit Freude und Genugtuung des Gedeihens des Unternehmens und seiner derzeitigen Blüte zu erinnern. In warmer Zuneigung gedenken wir daher der Gegenwart und aller derer, die zur Zeit unser Wirken treulich unterstützen, wie auch derer, die sich in größter Hingebung um unser Etablissement hohe Verdienste erworben haben und ihnen sei hierdurch ein herzliches Dankeswort dargebracht. Wir besitzen heute bedeutende Warenniederlagen unter eigener Firma in Berlin, Paris, Wien, London, New-York, Oyonnax, sowie Nebendepots in St. Claude, Ruhla, Kreuznach etc. und ertretungen in allen grösseren Städten der Welt. Kreuz und quer durchsegeln die Erzeugnisse der Fabrik als Halb- und Ganzprodukte den Erdball. Zu weit würde es führen, die sämtlichen Verwendungsgebiete des Celluloids zu schildern, allein mit seinem Erfinder sagen wir heute, dass dieses herrliche Material sich in verhältnismäßig kurzer Zeit in nahezu allen Branchen und allen Ländern Platz und Raum zu verschaffen wusste, während sich unsere Gesellschaft ohne Überhebung zu den größten der Branche, vielleicht zur größten der Welt rechnen kann. Der Grundbesitz unserer Fabrik beläuft sich zur Zeit auf rund 80.000 qm, wovon etwa ein Drittel zu Vergrößerungen vorgesehen ist. Die Fabrikanlage selbst ist in drei von einander getrennte Fabrikationssparten eingeteilt, von welchen sich zwei in Neckarau und eine in Rheinau befindet. Die Arbeitsleistung erfolgt durch strikte Trennung in 4 Betriebe, von denen jeder einzelne seinen technischen Oberleiter und bezgl. Unterbeamten besitzt. Der erste Betrieb umfasst: Hartgummi, Hartgummiwaren, Celluloidwaren, sowie die Kamm-Industrie. Der zweite Betrieb: Technische Weichgummiwaren. Der dritte Betrieb: (Rheinau) Herstellung der Nitrocellulose. Der vierte Betrieb : Herstellung des Celluloids. Die treibende Kraft ist ausschließlich Dampfkraft. Der Dampf zur Heizung und Kraft wird in 11 Dampfkesseln erzeugt, mit einer Gesamtheizfläche von 924 qm und 6 Dampfmaschinen, mit zusammen 1100 Pferdekräften. Eine im September 1885 gegründete und später vergrößerte elektrische Anlage besorgt die Beleuchtung; ca. 1200 Glühlampen sind dauernd im Gebrauch. In 141 durch Straßen, Höfe und Brandgiebel getrennten Bauten wird die Fabrikation vorgenommen. Kreuz und quer durchziehen unterirdische Wasser- und Dampfleitungen die Straßen und Höfe des Unternehmens. Die sehr beträchtliche Wasserversorgung wird aus vier Brunnen gewonnen und passiert zwei hohe Wassertürme. An den verschiedensten Enden der Fabrik arbeiten reichliche Wasser- und Dampfpumpen in die Wasserspeicher, so dass bei Tag und Nacht bei eventuell ausbrechendem Feuer stets mehrere Pumpen betriebsbereit sind. 38 um die ganze Fabrikanlage verteilte Hydranten gestatten, rasch beliebige Mengen Wassers herbeizuholen. Da eine nicht gewöhnliche Gefahr in der ganzen Art der Verarbeitung des Gummi, sowie des Celluloids liegt, so werden sich unsere verehrten Leser wohl denken können, dass ein genügend geschultes Personal in Fällen der Not hilfreich zur Hand ist. Die Einrichtungen des Feuerlöschwesens haben sich im Laufe der Zeit vorzüglich bewährt und wenn auch kleine Brände nie ganz zu vermeiden waren, so hatte die Fabrik doch seit jenem großen Feuer 1885 unter erheblichen Schwierigkeiten in dieser Beziehung nicht mehr zu leiden. Fachmänner wird es interessieren, dass die Fabrik z.Z. mit 64 Walzwerken und Kalandern arbeitet und dass 104 Pressen der verschiedensten Konstruktionen Benützung finden, zur Erzeugung der benötigten Warenmengen. Zur Herstellung von Kämmen allein sind 171 Kammschneidmaschinen dauernd im Betriebe. Der durchschnittliche Jahresverbrauch beträgt: an Säuren ca. 2.300 Tonnen, an Kohlen ca. 6.500 Tonnen, an Alkohol über 800.000 Liter. Seit Bestehen hat die Fabrik an Arbeitslöhnen 6.000.000 Mark in bar ausbezahlt, hierzu kommen noch die Abgaben an technische und kaufmännische Beamte der Zentrale und Filialen; z. Z. sind 79 derartige Beamten tätig. Im vergangenen Jahre betrug die durchschnittliche Zahl der Arbeiter und Beamten etwas über 990. Eine Fabrikkantine in Neckarau und eine solche in Rheinau versorgt die Arbeiter mit Speisen und Getränken. Kohlen werden seit einigen Jahren zum Selbskostenpreise an die Arbeiter abgegeben, eine Erleichterung, die erfreulicherweise die weitgehendste Benützung gefunden hat, was daraus erhellen dürfte, dass im Laufe des Jahres 1897 allein von Seiten unserer Arbeiter 2076 Entnahmen mit zusammen 4528 Zentnern gemacht wurden. Die Fabrik hat einen Arbeiterunterstützungsfond, welcher reichlich dotiert ist und der durch einen alljährlich durch die Arbeiter aus deren Mitte zu wählenden Ausschuss verwaltet wird. Die Gesuche zur Unterstützung kommen diesem Ausschusse reichlich mündlich und schriftlich zu und werden in den je nach Bedarf stattfindenden Sitzungen, von dem Ausschusse beschieden. Die Ausschussmitglieder müssen sämtlich in unserer Fabrik tätig sein und daher kann rasche Hilfe, wenn nötig sofort nach Einreichung des Gesuchs, gewährt werden; da außerdem die Mitglieder mit den Verhältnissen ihrer Kameraden und Nachbarn besser vertraut sind als irgend eine Korporation, so kann die Verteilung den tatsächlichen Bedürfnissen angemessen werden und insbesondere auch freiwillig an solche, die eine Unterstützung persönlich nicht nachsuchen. Im Jahre 1897 wurden 491 Unterstützungen im Gesamtbetrag von M. 3.323,81 gewährt und zwar nicht immer in baarem Gelde, sondern auch je nach Bedarf in Form von Kleidungsstücken, Naturalien etc. Ein selbständiger Krankenunterstützungsverein, welchem auch die kaufmännischen und technischen Beamten angehören, ist den Reichsgesetzen entsprechend organisiert. Dieser Verein erhebt sehr niedere Beiträge, da derselbe das Vermögen der früher bestandenen Fabrikkrankenkasse übernommen hat und daher über reiche Reserven verfügt. Denkwürdig ist der heutige Tag und denkwürdig möge er in unserer Erinnerung bleiben: mit ihm verschwindet und beginnt ein neuer Lebensabschnitt gemeinsamer Arbeit. Möge es uns vergönnt sein, in dem Kreise unserer heutigen Angestellten und Beamten, fort und fort noch Jahre hindurch in bisherigem Sinne zu schaffen und zu wirken, zum Frommen und Stolz der deutschen hochaufstrebenden Industrie! |
QUELLE | [Zum 25jährigen Jubiläum der Rheinischen Gummi- und Celluloidfabrik (1898)] |
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