Entwicklung der Dampflokomotive
Zweifache Dampfdehnung
Der wichtigste Fortschritt nach Vervollkommnung der Steuerung war die Einführung des
Verbundprinzips. Bei kleiner Zylinderfüllung und starker Expansion kühlt sich der
verbrauchte Dampf und damit die Zylinderwandung ab. Tritt frischer Dampf ein, so
kondensiert ein Teil davon, um den Zylinder wieder aufzuwärmen. Verteilt man die
Expansion bei der Verbundlokomotive auf zwei Stufen, wird dieser Abkühlungs- und
Dampfverlust geringer. Die ersten Ideen zu einer solchen Lokomotive, deren
Niederdruckzylinder einen Teils des Hochdruckzylinder-Dampfs erhält, stammen von
John
Nicholson (1846/47).
Ebenezer Kemp (1830-1890) plante 1860 eine Lokomotive mit paarig
nebeneinanderliegenden Hoch- und Niederdruckzylindern (Bauart
Woolf) und gemeinsamen
Schiebern. Die ersten Verbundlokomotiven, noch in Zweizylinder-Bauart, wurden 1876 nach
dem 1874 erteilten Patent von
Anatole Mallet (1837-1919) bei
Schneider-Creuzot gebaut. Die
erste in Deutschland entstand 1880 bei
Schichau. Daraus entwickelten sich Drei- und
Vierzylinderlokomotiven in verschiedenen Variationen in Bezug auf die Zylinderlage
(nebeneinander, übereinander , versetzt, Tandembauart, innerhalb und außerhalb des
Rahmens) und angetriebenen Achsen (Ein- oder Zweiachsantrieb). Die Maschinen hatten teils
getrennte Steuerungen für jedes Triebwerk, teils wurde die Steuerung der Innentriebwerke
von den äußeren abgeleitet. Um bei Zweikurbeltriebwerken auch bei Stellung der
Hochdruckkurbel im Totpunkt anfahren zu können, waren Anfahrvorrichtungen nötig, die
Frischdampf in den Niederdruckzylinder leiteten. Die zweifache Dampfdehnung brachte
erhebliche wärmewirtschaftliche Vorteile, verkomplizierte jedoch den Gesamtaufbau. Bei der
Deutschen Reichsbahn ging man unter dem Einfluss Preußens weitgehend zur einfachen
Expansion zurück. Ein typisches Beispiel dafür war die preußische
P 8 (38.10). Ein Drei- oder
Vierkurbeltriebwerk gestattet einen guten Massenausgleich der hin- und hergehenden Kräfte,
und die Kolbenkräfte werden auf mehr Kurbelzapfen verteilt. Daher wurden in Deutschland
alle ab 1939 gebauten Schnellzuglokomotiven mit Drillingstriebwerken, aber mit einfacher
Dampfdehnung ausgestattet.