Entwicklung der Dampflokomotive
Triebwerk und Steuerung
Ähnlich wie die Schiffsmaschine, die Fördermaschine und die Walzenzugmaschine für Duo-
Walzwerke muss die Lokomotivdampfmaschine in beiden Drehrichtungen laufen können.
Hierzu wurde die normale Steuerung zur Umsteuerung erweitert. Nimmt man vereinfachend
die Volldruckmaschine (Füllung: 100 % und keine Kompression) an, so eilt der Schieber dem
Kolben um 90° vor. Bei der mittleren Kolbenstellung befindet sich der Schieber in der einen
oder der anderen Endstellung, und die Drehrichtung hängt davon ab, welcher Dampfkanal
freigegeben wird und auf welcher Seite der Kolben somit dampfbeaufschlagt wird. Die
Exzenterkurbel befindet sich dabei in der jeweiligen Endlage. Im Kolbentotpunkt (z.B. rechts)
ist der Schieber in Mittelstellung (gleichgültig, ob seine Kurbel oben oder unten steht), und
bei der beginnenden Kolbenbewegung nach links weicht der Schieber in beiden Fällen nach
links aus der Mittelstellung aus und gibt den rechten Dampfkanal frei. Für die beiden
Fahrtrichtungen sind die Vorwärts- und Rückwärts-Exzenter der Treibkurbel jeweils um 90°
versetzt, da sie zu einen oder zur anderen Seite voreilen. Gegeneinander sind sie also um 180°
versetzt, und der Schieber muss fahrtrichtungsabhängig mit dem richtigen Exzenter
verbunden und von diesem bewegt werden. Die frühen Lokomotiven hatten auf jeder Seite
zwei verschiebliche Exzenter, mit denen die Schieberstange gekuppelt werden konnte. Diese
Anordnung war sehr verbesserungsbedürftig, da sie schwer zu bedienen war (teilweise 5
Hebel bzw. Pedale gleichzeitig), da die Maschine nicht dem Kraftbedarf anzupassen war und
da sie praktisch als Volldruckmaschine sehr unwirtschaftlich arbeitete. Der Übergang zu 2
Exzentern auf jeder Maschinenseite, verbunden mit Gabelsteuerungen von z.B.
Sharp &
Roberts (1838), Cabry (1841) bzw.
Stephenson (1841), verbesserte die Handhabung, denn sie
ermöglichten ein Kuppeln mit dem entsprechenden Exzenter.. Erst die Kulissensteuerung,
1842 durch Howe (bei Stephenson tätig) erfunden, konnte in jeder Hinsicht befriedigen.
Hierbei werden Vorwärts- und Rückwärts-Exzenter durch eine zum Schieber hin gebogene
Kulisse miteinander verbunden, die frei und höhenveränderlich aufgehängt ist. Sie hat einen
Schlitz, in dem ein Gleitstück (Schwingenstein) geführt ist. Zur Änderung von Füllung oder
Fahrtrichtung kann die Kulisse gegen das Gleitstück, mit dem die Schieberschubstange
verbunden ist, vertikal verschoben werden. Je nach Höhenlage der Kulisse kommt die eine
oder die andere Exzentrizität zur Wirkung, und Zwischenstufen für eine kleinere Füllung
(große Expansion) sind möglich. Ein Hebel und ein verhältnismäßig einfaches Gestänge
ermöglichen es, die Lokomotivdampfmaschine für alle Geschwindigkeits- und
Zugkraftverhältnisse anzupassen und sie zur ideal regelbaren Kraftmaschine zu machen. Wie
schon in der Zeichnung erkennbar, gibt es konstruktive Probleme, da der Schieber auf dem
Zylinder und somit höher liegt als der Exzenter. Da auch Lokomotiven mit Expansion
arbeiten sollen, erhalten sie verbreiterte Schieberflächen und eine von der Steuerung
unabhängige, lineare Voreilung. Diese ist bei der Stephenson-Steuerung nicht konstant (bei
kleinen Füllungen größer als bei weit ausgelegter Steuerung). Diesen Nachteil vermeidet die
Steuerung von
Gooch (1843); hier ist die Schieberschubstange höhenverschieblich, die
Kulisse fest aufgehängt. Sie ist zum Schieber hin mit dem Radius der Schieberschubstangen-
Länge hohl gekrümmt. Nachteilig ist ihre große Baulänge wegen der zwischengeschalteten,
beweglichen Schieberschubstange. Bei der Allan-Trick-Steuerung (eine Doppel-Erfindung
1855/56) bewegen sich Kulisse und Schieberschubstange bei der Verstellung der Füllung
gegenläufig, und die Schwinge ist gerade. Sie ist daher leichter zu fertigen, und beim
Umlegen der Steuerung wird der Stellweg kleiner (Vorteil bei Rangierlokomotiven). Die
Kulissensteuerung von
Walschaert (1848) bzw.
Heusinger (1849) hat nur eine genau um 90°
bei Vorwärtsfahrt voreilende Kurbel (meist eine Gegenkurbel auf dem Treibzapfen) je
Triebwerkseite und eine zweiarmige, im Mittelpunkt fest gelagerte Schwinge. Befindet sich
der Schwingenstein unterhalb des Schwingen-Drehpunkts, macht die Schieberschubstange
gleichsinnige Bewegungen mit der Gegenkurbel. Ist der Schwingenstein oberhalb, bewegt er
sich gegenläufig, als ob die Bewegung von einer 180° versetzten Kurbel abgeleitet wäre. Der
Dampf strömt daher auf in andere Zylinderseite ein, und die Lokomotive fährt rückwärts. Die
für alle Füllungen konstante Voreilung wird vom Kreuzkopf abgeleitet und durch einen
Voreilhebel mit der richtungs- und füllungsabhängigen Bewegung der Schieberschubstange
vereinigt. Bei allen Kulissensteuerungen wird zur Veränderung der Dampfeinströmung die
Schwinge und/oder der Schwingenstein durch Spindel oder Hebel und einen Winkelhebel von
Führerstand aus gehoben oder gesenkt. Bei Schiffen und Walzenzugmaschinen hat sich die
Stephenson-Steuerung halten können, während sich die Heusinger-Walschaert-Steuerung bei
Lokomotiven durchsetzen konnte. Der einfache Steuerungsmechanismus ermöglicht der
Dampflokomotive große Zugkräfte bzw. hohe Geschwindigkeiten ohne Stufen- und
Wendegetriebe, ohne mechanische oder hydraulische Kupplungen und Wandler oder gar
elektrische Kraftübertragung. Die Doppelschiebersteuerung konnte sich bei der Lokomotive
nicht durchsetzen. Der seit Stephenson gebräuchliche einfache Schieber (teilweise mit Trick-
Kanal, zur Vergrößerung der Dampfkanalöffnungen) hielt sich bis zur Einführung des
Heißdampfs. Die hohen Temperaturen erschweren die Schmierung des unter Dampfdruck
laufenden Schiebers, und durch die Wärmedehnung verziehen sich die Gleitflächen. Daher
wurde der Kolbenschieber eingeführt, denn er ist gegen den Dampfdruck vollständig entlastet,
und durch seine Kolbenringe dichtet er auch bei hohen Dampftemperaturen. Allerdings sind
für den Druckausgleich im Leerlauf (die Luft im Zylinder wird von einer Seite zur anderen
geschoben) besondere Vorkehrungen wie Druckausgleichsventile oder –schieber erforderlich.
Ventilsteuerungen von
Lentz (ab 1905) und von
Caprotti haben sich bei Lokomotiven in
Deutschland nicht durchsetzen können. Bei der Gleichstromdampfmaschine nach
Johannes
Stumpf (1862-1936) strömt der Dampf an den Deckeln ein und durch Auslassschlitze in
Zylindermitte aus; sie konnte sich trotz ihrer wärmewirtschaftlichen Vorteile im
Lokomotivbetrieb nicht einführen.